Google: Friend? Enemy? Frenemy!

von Sven Sester am 9.2.2016

Google, oder heute Alphabet, möchte die Informationen der Welt organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen - so lautet jedenfalls das Credo der beiden Gründer Larry Page und Sergey Brin. Als Ergebnis einer Forschungsarbeit an der Stanford University hat Google in vielen Ländern einen Marktanteil von über 90% und ist damit die mit Abstand meistgenutzte Suchmaschine der Welt.

Geld verdient der gleichnamige Konzern noch immer hauptsächlich mit Werbung, die neben und oberhalb von Suchergebnissen angezeigt wird, sowie auf Millionen anderer Webseiten in Form von Bannern, Textanzeigen und Links. Zum Suchbegriff passende Werbeeinblendungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass der Besucher darauf klickt. Um also die Suchergebnisse sinnvoll, und gleichzeitig die Werbung so zielgenau wie möglich auf den Besucher zuzuschneiden, sammelt Google Daten - und zwar alle. 

Google weiß alles.

Google schneidet praktisch jede „Bewegung“ mit, die ein Nutzer im Netz hinterlässt - und weiß damit häufig mehr als der Partner oder der engste Familienkreis. Sie haben eine unangenehme Krankheit und suchen nach Behandlung? Google weiß es. Sie besuchen Ihnen vielleicht peinliche Webseiten? Google weiß es. Sie sind gerade gut gelaunt und entspannt oder hektisch und wütend? Google weiß es.

Aber woher bekommt Google alle diese Informationen? Das Unternehmen wertet neben den Suchanfragen Ihr gesamtes Verhalten aus, also worüber Sie in Ihren Mails schreiben, welche Musik Sie hören, welche Videos Sie schauen und welche Webseiten Sie besuchen. Dafür müssen Sie vielfach nicht einmal in einem Google-Konto eingeloggt sein, sondern es reicht der Browser (Chrome) oder die Suchleiste oben rechts. Zumal auf nahezu allen Webseiten Google Analytics eingebaut ist, ohne dass es der normale Besucher merkt. Auf welchen Seiten bleiben Sie wie lange, welche Worte verwenden Sie in E-Mails, sind die vorwiegend positiv oder negativ, vielleicht gar aggressiv? Mit wem haben Sie wann und wie oft Kontakt? Seit Googles Betriebssystem Android auch auf 80% aller Smartphones läuft, Apps wie Google Maps sogar auf Apple-Geräten, kommt die Ortung via GPS, Navigation und Wifi hinzu. Fotos werden gescannt und in die Google Cloud geladen. Jede noch so kleine Information ist interessant.

Spannend wird in den kommenden Jahren auch die Ausweitung auf den Gesundheitsbereich (z.B. Fitness Apps) und den Haushalt (Stichwort Smart Home). Armbänder, Zahnbürsten und Schreibtischlampen werden in naher Zukunft alle mit dem Internet verbunden sein. Google wird erneut exzellente Programme dazu liefern, die sehr vielen Menschen helfen und erneut Unmengen von Daten sammeln. Weil Google es kann und weil jedes Byte die Ergebnisse verbessert. 

Big Data ist der Schlüssel

Doch warum sammelt Google die Unmengen an Daten? Angeblich ist deren streng geheimer Algorithmus doch so ausgeklügelt. Und vor allem, warum von mir? Ich klicke nie auf Werbung!

Für ein präzises Ergebnis ist der Algorithmus nicht ansatzweise so relevant wie die schiere Masse an Daten. Denn nur diese Menge an Daten ermöglicht es, Unschärfen durch Ausreißer auszugleichen.

Prof. Mayer-Schöneberger hat das Phänomen auf der re:publica-Konferenz am Beispiel von Übersetzungsprogrammen anschaulich erklärt. Programme, denen man versuchte die Wörter und Regeln einer Sprache beizubringen, funktionierten überhaupt nicht. Google Translate hingegen beruht allein auf Korrelationen und Wahrscheinlichkeiten - und funktioniert schon erstaunlich gut. Google interessiert sich also nicht zwangsläufig für mich als Person, sondern ich liefere schlicht das Material für die Statistik.   


Dieses Prinzip gilt natürlich nicht nur für Google, sondern für alle großen Player in der digitalen Wirtschaft. Die werden jedoch immer weniger. Oder anders gesagt, der Web-Traffic reduziert sich auf immer weniger Seiten. Während 2007 die Hälfte des Traffics noch über tausende Seiten lief, konzentrierten sich 2014 über 50 Prozent des US-Traffics noch auf 35 Seiten. Die Top Five waren erwartungsgemäß Amazon, Yahoo, Facebook, Microsoft und ganz oben - Google. De facto sind das Oligopole. Der strukturverstärkende Effekt des Internets wird diesen Trend eher verschärfen, denn niemand braucht ein zweites Online-Versandhaus, wenn Amazon alles hat und zuverlässig liefert. Alle möchten in das soziale Netzwerk, wo die meisten Freunde sind und niemand sucht woanders, wenn Google blitzschnell die besten Ergebnisse liefert. (Siehe auch die Erläuterungen von Frank Rieger vom Chaos Computer Club)

Aber ist Google böse?

Nein, nicht per se. Zunächst machen die Kalifornier ihren Job einfach nur verdammt gut. Eine Zerschlagung von Google, wie mehrfach von Minister Gabriel ins Spiel gebracht und vom EU Parlament diskutiert, ist vermutlich völliger Nonsens und eine reine Symptombekämpfung. Nicht nur, weil der EU das spätestens mit dem Freihandelsabkommen TTIP wieder um die Ohren fliegen würde, sondern auch weil es an den Strukturen und Mechanismen des Webs völlig vorbeigeht. 
Zumal sich die Politik natürlich fragen lassen muss, warum eine in den USA von zwei Studenten gegründete Firma nach nur wenigen Jahren so groß werden konnte, dass man sie hier zerschlagen will, während praktisch keinerlei digitale Standards oder Technologien aus Deutschland kommen und das Internet als “Neuland” gilt. Stattdessen kämpfen Verlage, die jahrelang die digitale Entwicklung verschlafen haben darum, dass sie an den Erfolgen von Google-News noch ein paar Euro mitverdienen können. Dass Google auf der News-Seite in Deutschland seit Jahren keine Werbung mehr einblendet, wird dabei von den Verlagen geflissentlich ignoriert. In Spanien verlangte man von Google für das Anzeigen der Textschnipsel gar eine Gebühr, woraufhin Google konsequenterweise seine News-Seite in Spanien einfach abgeschaltet hat. Als wäre das nicht absurd genug, versuchen die Verlage einem gleichzeitig aber „Google-optimierte Advertorials“ zu verkaufen. Das sind reine Werbeanzeigen, die aber aufgrund des hohen Page-Ranks der Zeitung bei Google oben in den organischen Ergebnissen auftauchen, anstatt in den Werbelinks.  
“Professionelle, suchmaschinenoptimierte Texte von versierten Redakteuren”

 Kurz gesagt, man kämpft in unseren Breiten nicht nur auf ziemlich verlorenem Posten, sondern auch auf den völlig falschen Schlachtfeldern. Denn wo sind Google, beziehungsweise Firmen mit einer Struktur wie Google, wirklich ein Risiko? Im Wesentlichen sind das zwei durchaus miteinander verwobene Aspekte.

1. Suchneutralität und die eigene Realitätsbubble

Google ist, wenn auch nicht de jure, de facto auf lange Sicht erst einmal konkurrenzlos. Aber niemand sagt, dass Google diese marktbeherrschende Stellung nicht mittelfristig ausnutzt. Ein Beispiel: Google hat 2010 den Anbieter für Flugbuchungssoftware ITA gekauft. Sprich, wenn ich jetzt für meinen Urlaub nach einem günstigen Flug nach London suche, wer sagt mir, dass Google mir nicht vorwiegend Anbieter auflistet, die eben diese Software nutzen - und damit über Bande mitverdient? Oder was geschieht, wenn Google in wenigen Jahren selbstfahrende Autos vermarktet, um noch präzisere Bewegungsdaten zu bekommen und gleichzeitig den Fahrern mehr Zeit zu verschaffen, im Internet zu surfen und auf Werbung zu klicken? Spätestens dann werden unsere heimischen Autobauer buchstäblich ins Schlittern geraten, wenn sie nicht auf die Google-Technik setzen und deshalb vielleicht in der Suche erst auf Seite 2 erscheinen.

So ein Vorgehen konnte Google, trotz umfangreicher Recherchen der Konkurrenz, welche die Gerichte in solchen Fällen natürlich gerne unterstützt, im bereits vier Jahre andauernden Kartellverfahren nie eindeutig nachgewiesen werden. Man kann auch hoffen, dass man in Mountain View zu schlau ist, sich durch so ein Verhalten jegliche Glaubwürdigkeit zu verspielen. Um auf Nummer sicher zu gehen, gibt Google aber schon heute doppelt so viel Geld für politisches Lobbying aus, wie die nächsten beiden (Microsoft und Facebook) zusammen.


Anders sieht es aus, was die eigene Filterbubble betrifft. Der frühere Chairman von Google, Eric Schmidt formulierte vor einigen Jahren auf einer Konferenz von The Atlantic bereits den Anspruch, zu wissen, was wir denken.

"Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, worüber du nachdenkst." Eric Schmidt, 2010


Genau das erreicht man eben über die Auswertung der oben genannten Daten. Soll heißen, wenn man über das gesamte Google-Ökosystem inklusive der Suchergebnisse nur noch auf Dinge stößt, die aus Unternehmenssicht perfekt auf einen zugeschnitten sind, wird man vermutlich einiges verpassen (was nebenbei gesagt natürlich genauso für Facebook u.a. gilt). Man lebt also immer mehr in seiner von digitalen Konzernen bestimmten Realität, in der das zufällige Stolpern über Neues nicht mehr vorkommt. 

2. Geheimdienstnutzen

Man wird mit allen übertragenen Daten berechenbarer. Das wissen auch Dienste wie die NSA, das FBI oder der BND. Und klar ist es einfacher, sich bei fünf Anbietern hinter die Server zu klemmen und einen Zugang zu schon aufbereiteten oder sogar entschlüsselten Daten zu nutzen, als an Knotenpunkten ein riesiges Wirrwarr abzusaugen. Je weniger Anbieter diese Daten sammeln und je besser die aufbereitet sind, desto weniger Aufwand für die Dienste. 

Das bedeutet Google muss nicht „evil“ sein, wenn Gesetzgeber die Firma zur Herausgabe eben dieser Daten verpflichten und damit sehr wohl Zweifelhaftes planen. Das häufig angebrachte Argument, die eigenen Daten lieber einem Privatunternehmen zu geben, als einem Staat mit Sanktionsgewalt, ist in dem Moment obsolet, wo der Staat Zugriff auf die Daten von Privatunternehmen hat und für seine Zwecke einsetzt. „Pre-Crime“ ist so ein Beispiel. Verbrechen sollen anhand von Datenkorrelationen bereits im Vorhinein vorhergesagt und potentielle Täter präventiv festgesetzt werden (Good Bye, Unschuldsvermutung).

Einige Google Mitarbeiter haben solche Eingriffe mit einem deutlichen “Fuck these guys” kommentiert und versuchen sich durch Verschlüsselung zu wehren. Wie lange die Schlüssel aber nicht angefordert, respektive erpresst werden können, steht auf einem anderen Blatt. Und nicht alle Google Mitarbeiter vertreten diese ablehnende Meinung. Zumindest gab es laut einem veröffentlichten E-Mail-Wechsel einen engeren Kontakt zwischen Google und der NSA, als man öffentlich preisgeben möchte. Ob so etwas auf Druck hin geschieht, ist schwer zu sagen. Sicher ist, in so einem Moment muss man nicht Snowden heißen, um ein Unwohlsein zu verspüren. 

Lösungsansätze?

Die Zerschlagung von Google ist, wie oben angedeutet, sicher nicht der Weg. Zumal der Kampf gegen Google ein reiner Stellvertreterkrieg ist. Andere Konzerne agieren ähnlich, und selbst wenn Google seine Stellung räumen müsste, stände bereits der nächste Aspirant in den Startlöchern. Deshalb gilt aktuell vor allem zweierlei:

Den Großkonzernen sehr genau auf die Finger zu schauen und ggf. zu regulieren. Sowohl was die Wettbewerbssituation, als auch was die Datensammelwut angeht. Denn nur Daten, die nicht erhoben werden, werden auch nicht verwendet (das gilt um so mehr für die Dienste, hüben wie drüben). Dabei hilft aber keine Hysterie (Google Street View), sondern nur durchdachtes Abwägen. 

Auf der anderen Seite ist es längst an der Zeit, die eigene digitale Landschaft durch Bildung, Technologie, Gründungshilfe und Investitionen nach Leibeskräften zu unterstützen. Das fängt in der Schule an, wo als weitere Fremdsprache eine Programmiersprache vermutlich für viele hilfreicher wäre als z.B. Latein. In den Universitäten sollten die Interdependenzen von Technik und gesellschaftlicher Entwicklung thematisiert werden um keine IT-Fachkräfte bekommen, welche die gesellschaftliche Relevanz ihrer Tätigkeit nicht sehen, oder Geistes-, Rechts und Sozialwissenschaftler, die keine Ahnung von Technik haben, aber darüber entscheiden sollen. Das betrifft momentan insbesondere die Entscheider in der Politik. So lange das Internet völliges Neuland bleibt und Merkel, Öttinger und Co. nicht die Materie, geschweige denn die Tragweite ihrer Entscheidungen begreifen, spielen Lobbyisten und Geheimdienste “Wünsch Dir was”. Ein Punkt, den Google selbst aus eigenem Interesse unterstützt. 

Ein erster Weg zur staatlichen Finanzierung solch einer Förderpolitik könnten EU-weit einheitliche Unternehmenssteuern sein, denn in Puncto Steuervermeidung sind die digitalen Großkonzerne mindestens ebenso innovativ, wie in ihren eigenen Produkten. 
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Sven Sester

Gute Ideen scheitern leicht an schlechter Kommunikation. Deshalb wird Sven bei 42he gern kreativ in Wort, Bild und Schrift.