Breitbandausbau statt Netzneutralität? Beides!

von Arne Buchner am 2.3.2015
Ich bin seit 15 Jahren ITler und habe zu Hause eine 6 Mbit Kabelleitung. Ich hatte bisher weder Probleme Youtube-Videos in HD zu schauen, noch bei der Nutzung anderer datenintensiver Dienste wie Watchever. Und hätte ich mehr Leistung benötigt, hätte ich mir bei verschiedenen Anbietern Anschlüsse mit 25 bis 100 MBit besorgen können. Wie 65 % aller Haushalte in Deutschland auch - insgesamt ein Spitzenplatz in Europa, was es die Abdeckung an Breitband angeht.

Mir stellt sich also die Frage, warum die Regierung ein hohes Gut wie die Netzneutralität unter dem Vorwand des Breitbandausbau aufgeben will. Begründet wird dies mit Standortvorteilen. Zitat "Breitband ist ein wesentlicher Standortfaktor und spielt eine immer wichtigere Rolle, sowohl für Unternehmen als auch für Bürgerinnen und Bürger". Die Argumentation geht also in etwa so: "Wir müssen den Breitbandausbau dringend beschleunigen. Weil wir das aber nicht bezahlen wollen, verkaufen wir lieber die Neutralität des Internets an die Telekommunikationsanbieter".

Recht haben sie! Eine gute Internetverbindung ist Voraussetzung für fast alle Unternehmungsgründungen heutzutage. Nur gibt es in jedem Bundesland etliche Standorte, wo man schon jetzt ein datenintensives Unternehmen gründen kann. Und wenn man sein Unternehmen in einer ländlichen Gegend gründen möchte, gibt es auch dort erschwingliche Satelliten-Internetverbindungen. Hinzu kommt, dass bei immer weniger IT-Unternehmen der Standort des Unternehmens mit dem Standort der IT-Infrastruktur, z.B. den Servern, einhergeht. So standen die Server meines vorherigen deutschen Arbeitgebers in Kanada. Die Server der 42he GmbH stehen in Süddeutschland, das Team sitzt aber größtenteils in Köln oder sogar hinter ziemlich langsamen Leitungen in der Provinz.


Breitbandversorgung der entscheidende Faktor?

Ist die Breitbandversorgung tatsächlich ein so entscheidender Standortvorteil? Wenn ja, warum gibt es nicht mehr grosse IT-Unternehmen aus Rumänien oder Japan? Dort ist der durchschnittliche Internetanschluss doppelt so schnell wie in den USA. Deutschland liegt ca. 10 % hinter den Vereinigten Staaten. 

Ich glaube, dass für eine gesunde IT-Wirtschaft ganz andere Standortfaktoren eine Rolle spielen. Dazu gehört auch die Netzneutralität. Sie ist wichtig für Startups und kleine IT-Unternehmen, damit diese die gleichen Chancen im Markt haben, wie bereits etablierte Unternehmen. Eine Abschaffung der Netzneutralität in Europa würde zu einem weiteren Standortnachteil für europäische Tech-Startups führen, da sie zu einer unüberwindlichen Markteintrittsbarriere würde. Wenn sich die Telekom mit Spotify ins Bett legt, ein kleiner Streaming-Dienst und Wettbewerber jedoch eine ebenso hohe Datenübertragung benötigt, kann man diesen Wettbewerbsnachteil nicht wegdiskutieren. 

Und wir sollten nicht vergessen, in Deutschland waren historisch betrachtet immer die kleinen und mittelständischen Unternehmen immer die Innovationsmotoren. Die große Koalition darf sich deshalb nicht besonders wundern, wenn unter diesen politischen Rahmenbedingungen die erfolgreichen Internetunternehmen weiterhin fast alle aus den USA kommen.

Brächte die Abschaffung der Netzneutralität nur Nachteile für Firmen?

Was bringt die Netzneutralität dem ganz normalen Bürger? Sie bringt zum Beispiel die Freiheit der Provider-Wahl. Der Endverbraucher muss bei der Wahl nicht berücksichtigen, dass nur ein oder andere Anbieter eine dauerhaft schnelle Anbindung an Youtube und seine Lieblingsdienste ermöglicht. Ohne die Netzneutralität müsste man sich durchs Kleingedruckte der Internet-Provider wühlen, um auszuschließen, dass gewisse Dienste langsamer sind. 

In der Diskussion geht es auch gar nicht nur um heute. Die Telekommunikationsanbieter sprechen zur Zeit nur von den sehr datenintensiven Diensten, nicht von kleineren Seiten. Doch wenn diese Grundsatzentscheidung einmal gefallen ist, wird es irgendwann nicht mehr nur um Youtube und Spotify, sondern auch um kleinere Software-Anbieter gehen. Und dann wollen die Telekom und Co grundsätzlich Geld von beiden Seiten - von dem, der die Leitung bezahlt und von dem, der die Leitung mit Leben füllt. Das ist, als ob die Wasserwerke beleidigt wären, weil man sie nicht am Gewinn der Brauereien beteiligt. Solche Ideen entstehen, wenn zu viele Lobbyisten auf sehr viel Zeit und Geld sitzen. 

Unser “Digitales-Neuland” EU-Kommissar Oettinger hatte in diesem Zusammenhang übrigens noch eine weitere Glanzidee: Er will den Wettbewerb auf dem Telko-Markt einschränken. Zur Sicherung der Investitionen sollten längere Laufzeiten üblich sein. Ein weiteres Geschenk für die ach so hilflosen Anbieter des Netzes. 

Insgesamt bin ich überzeugt, dass die Aufgabe der Netzneutralität sowohl den Verbrauchern als auch den kleineren IT-Unternehmen und Startups erhebliche Nachteile bringen würde. Die Vorteile hingehen lägen nur bei sehr wenigen Unternehmen. Der bereits heute sehr schmerzliche Vorsprung der USA im Internet-Sektor würde noch weiter wachsen. Deshalb hoffe ich, dass die EU dem Beispiel der FCC folgt und das Wohl der Mehrheit über die Partikularinteressen weniger Internet-Providern stellt. Wir sollten uns zwar keineswegs grundsätzlich die US-Gesetze und dortigen Verhältnisse der IT-Branche zum Vorbild nehmen - Stichwort Datenschutz - aber in Sachen Netzneutralität haben die Amerikaner den richtigen Weg eingeschlagen.  

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Arne Buchner

Arne Buchner ist Entwickler bei 42he. Wenn er hier schreibt, dann über kleine Hacks und Codebeispiele.