Wird der App Store das freie Web verdrängen?

von Axel von Leitner am 16.4.2011

Der amerikanische Technologie Investor Roger McNamee, sagte vor einigen Tage in einem Interview des Nachrichtensenders CNBN:

"Apple is just killing the world wide web."
Er spielt darauf an, dass das Apple App Store Modell (iPhone, iPad & Mac) das offene und freie Web langfristig verdrängen könnte. Meine Meinung zu dem Thema sieht etwas anders aus.

Dank Microsoft 10 Jahre Stillstand im Web

Durch die lange Vorherrschaft des IE6 gab es rund 10 Jahre lang kaum neuen Techniken im World Wide Web. Durch den zunehmenden Erfolg anderer Browser und den neuen HTML5 Standard nimmt die Entwicklung gerade wieder an Fahrt auf. Selbst Microsoft hat seine Blockadehaltung aufgegeben und mit dem IE9 sogar einen relativ guten Browser herausgebracht, was die Kompatibilität der neuen technischen Möglichkeiten angeht. Mit HTML5 sind im Browser Dinge möglich, die sonst nur mit nativen Apps möglich waren. Insbesondere die Usability und das Design der Anwendungen können hiervon profitieren. Und selbst wenn man sich für eine reine Web App Strategie entscheidet wie wir - auf Seiten der Apple Geräte verliert man keine oder nur wenige Nutzer. Mit dem Safari hat Apple auch einen der modernsten Browser, so dass Webanwendungen dort auch auf Augenhöhe mit den Apps spielen können.

Plattformunabhängigkeit

Wenn ich eine App entwickle oder kaufe bin ich in beiden Fällen an den Willen des Plattforminhabers gebunden. Ich kann im Fall von Apple die App nur im App Store verkaufen. Die alte Geschichte: wenn Apple nicht gefällt was ich entwickelt habe wird es nicht aufgenommen und ich habe umsonst entwickelt. Das Risiko trägt der Entwickler oder Anbieter der App.

Auf der anderen Seite steht der Kunde. Dieser kann z.B. eine iPad App nur auf dem iPad einsetzten. Nicht auf dem PC, nicht auf dem Mac, nicht auf Geräten anderer Hersteller. Er ist also fest an diese Plattform gebunden oder muss sich bei einem Wechsel komplett neue Software kaufen. Bei einer guten Webapplikation ist das kein Thema. Hier kann jeder Anbieter seine Produkte im freien WWW veröffentlichen. Es gibt keinen Türsteher, der einen kontrolliert oder einem seine Interessen aufzwingen kann. Setzt man jetzt zusätzlich zu seinen iPhones einige Blackberrys ein muss man nicht hoffen, dass der Anbieter eine entsprechende App verfügbar hält.

Marketing und Vertrieb

Viele Entwickler sind der Meinung, dass der App Store einem die Vermarktung und den Vertrieb abnimmt und sich die Apps wie von alleine verkaufen. Der „Goldrausch“ in den ersten Wochen und Monaten des App Stores hat diese Denke sehr stark geprägt. Natürlich gibt es Beispiele, in denen ein Entwickler in seiner Freizeit eine kleine App gebaut hat und damit innerhalb kurzer Zeit reich geworden ist. Was viele dabei vergessen: das ist bei weitem nicht die Regel. Als der AppStore nur 100 Apps hatte und das neueste Thema in der Presse war, gab es einfach ein verrücktes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Mittlerweile gibt es laut Apple über 200.000 Apps - es wird also auch im App Store immer schwieriger die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen. Je weiter sich das Angebot im App Store entwickelt, desto ähnlicher wird er dem offenen Web in Punkto Marketing. Es reicht dann nicht mehr nur dort zu sein, sondern man muss auch auf anderen Kanälen Marketing betreiben. Wer nicht gerade auf der Startseite erwähnt wird oder in seiner Kategorie ganz oben dabei ist, der geht schnell unter in der Masse.

Die einfache Abwicklung ist die Alleinstellung

Im Vertrieb bzw. der Abwicklung hingegen sieht es noch anders aus. Apple schafft mit dem App Store das, was im Web bisher noch nicht gut funktioniert: eine einfache und transparente Abwicklung im Vertriebsprozess. Und das lässt Apple sich bezahlen. Apple verlangt 30% des Kaufpreises für die Abrechnung. Dafür hat der Entwickler mit all diesen lästigen Themen nichts zu tun. Auch für den Entwickler macht der App Store die Abwicklung einfach und problemlos.

Im Web sieht das anders aus. Alle mir bekannten „E-Payment“ Lösungen, die in Deutschland angeboten werden, sind teuer und kompliziert. Entweder man schlägt sich mit den schrecklichen Lösungen der Payment Provider oder Payment Mittelmänner rumm oder man benötigt gerne mal einen fünfstelligen Betrag für eine eigene Zertifizierung. Nur dann darf man die Kredikartendaten bei sich speichern und leitet sie nicht an einen der großen Anbieter durch. Auf Kundenseite ist die Abwicklung ohnehin ein leidiges Thema. In jedem Onlineshop, bei Ebay oder als Software as a Service Kunde muss man seine Zahlungsdaten hinterlegen und aktuell halten. Für den Markt der Endkunden ist PayPal mittlerweile weit verbreitet, doch für Geschäftskunden ist das meist keine Option. Keine Verbreitung, keine widerkehrenden Zahlungen und so weiter.

Wenn hier jemand ein einfaches und preisliches faires System anbietet, hat sich der letzte Vorteil des App Stores auch noch erledigt. Allerdings sind die meisten Bezahlmodelle im WWW bisher an der Komplexität gescheitert. Die Regeln und den technischen Rückstand der Finanzmärkte hat noch keiner ausgleichen können. Beispiel gefällig? Das DTAUS Verfahren von 1976 ist noch heute der Standard, um Lastschriftzahlungen einzuziehen.

Kein Grund zur Panik

Das WWW als offene Plattform für jedermann ist weit weg von einer Verdrängung durch Apple‘s App Store. Mit neuen Technologien wie zum Beispiel HTML5 und seiner Plattformunabhängigkeit ist es dem oder den App Store(s) problemlos gewachsen.

Viel gefährlicher als der App Store selber sind die Methoden einiger Anbieter oder Webseitenbetreiber. Prominentestes deutsches Beispiel in dem Zusammenhang ist wahrscheinlich die Bild Zeitung. User die bild.de mit einem iPad aufrufen bekommen keine Nachrichten zu sehen. Stattdessen wird man zum Download der App genötigt - die ersten 7 Tage sind kostenlos, dann zahlt man für die Inhalte die im Web kostenlos verfügbar sind. Diese Methoden sind zum einen natürlich die pure Verarsche der typischen Bild Leser, zum anderen aber auch eine Gefahr für das freie Web. Wenn sich soeine Handhabung verbreitet ist das schädlich für das freie Web. Bild ist leider schon nicht mehr alleine mit der Strategie.
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Axel von Leitner

Mitbegründer von 42he. Beschäftigt sich mit den betriebswirtschaftlichen Dingen und steckt viel Herzblut in Design & Usability. Axel schreibt insbesondere über Produktivität, Design und Startup-Themen.